Die Berliner Gemeindesynagogen im Deutschen Kaiserreich
Integration und Selbstbehauptung
Längsschnitt durch die Gemeindesynagoge Fasanenstraße.
Rekonstruierende Schnittzeichnung (K. Wächter), auf Grundlage von Landesarchiv Berlin, F. Rep. 270, Nr. 3981, Bl. 19.
Berlin war am Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die Hauptstadt einer gerade erst als Nation geeinten Großmacht, sondern auch ein wichtiges Zentrum jüdischer Kultur in Europa. Die Entstehung neuer Synagogenbauten kennzeichnete während der Kaiserzeit das Anwachsen der Berliner Gemeinde und wurde von Aushandlungsprozessen zwischen den einzelnen Akteur*Innen – der jüdischen Kultusgemeinde, den Architekten und den Beamten der Baubehörden – gerahmt. Dabei ist ein bemerkenswerter Wandel architektonischer Konzepte während der Kaiserzeit zu beobachten. Nicht nur aktuelle Moden der Architektur und Stilausbildung waren entwurfsprägend, vor allem bestimmten gesellschaftliche Entwicklungen und die Selbst- und Fremdverortung der jüdischen Minorität innerhalb der deutschen Gesellschaft die Ausarbeitung verschiedener architektonischer Strategien und somit auch die gebaute Sichtbarkeit der Gemeinde im öffentlichen Raum der Hauptstadt. Der typologische Wandel der Berliner Synagogen, der sich 1910–1912 beispielsweise im freistehenden Bau der Gemeindesynagoge an der Fasanenstraße manifestierte und klar gegenüber dem zuvor als Lösung der Bauaufgabe in Berlin gefundenen Typ der zumeist eng umbauten Hofsynagoge mit straßenseitigem Schulgebäude abgrenzte, wird im Rahmen der Forschungsarbeit nachvollzogen und historisiert.
Welche Erfahrungen der jüdischen Bürger*Innen in der deutschen Gesellschaft stehen hinter den Bauprojekten der Gemeindesynagogen? Wie verorteten sich die Erbauer*Innen der Synagogen innerhalb des Kaiserreiches und innerhalb ihrer Gemeinde? Welche Bedeutung hatten die Synagogen als sichtbare Zeichen jüdischer Kultur für ein zunehmend säkulares jüdisches Bürgertum? Die Erforschung der Gemeindesynagogen, ihrer Grundrissentwicklung, ihrer städtebaulichen Positionierung und ihres unterschiedlich ausgeprägten Formenreichtums vermag vielfach Einblicke zu geben, um diesen Fragen nachzugehen und eine Idee davon zu gewinnen, welche komplexen Hintergründe diesen aufwendigen Großbauten zugrunde lagen. Dabei zeigen die Untersuchungen, dass die Auftraggeber*Innen und Nutzer*Innen ebenso vielfältig und heterogen auftraten, wie es ihre monumentalen Betsäle widerspiegelten.
Dieses Forschungsprojekt wurde im Zuge einer Dissertation von Dr.des. Konstantin Wächter bearbeitet.
